Startseite / Wenn Sehnen rebellieren – Tendinopathien im Laufsport verstehen & vorbeugen
Sehnenverletzungen beim Laufen Teil 1
Doch warum sind gerade Sehnen so anfällig? Welche Trainingsfehler führen zu Problemen? Und wie schützt du deine Sehne sinnvoll, ohne dich in Mythen zu verlieren? Willkommen zu Teil 1 unserer Serie über Sehnenverletzungen beim Laufen – dein 7-Minuten-Deepdive in die Welt der Tendinopathien.
Fehlanpassung statt Entzündung
Entgegen landläufiger Meinung ist die klassische „Entzündung“ meist nicht der Hauptschuldige. Laut dem Continuum-Modell verläuft eine Tendinopathie in drei Phasen: reaktiv → Dysrepair → degenerativ (1). Vereinfacht gesagt: Die Sehne reagiert zunächst auf ungewohnt hohe oder dauerhaft hohe Belastung, beginnt dann, sich unzureichend zu reparieren, und degeneriert letztlich, wenn der Reiz nicht angepasst wird.
Schmerz ≠ Struktur
Spannend: Bildgebende Verfahren wie Ultraschall zeigen bei vielen Betroffenen Verdickungen oder vermehrte Gefäßneubildungen – doch die Schmerzintensität lässt sich daraus kaum vorhersagen (1). Das heißt: Auch eine „auffällige“ Sehne kann schmerzfrei funktionieren – und umgekehrt.
Schmerz verändert das Gehirn
Chronische Tendinopathien beeinflussen das zentrale Nervensystem: Die kortikale Hemmung steigt, die Muskelkoordination leidet – ein Phänomen, das sich mit gezieltem neuroplastischem Training messbar reduzieren lässt (5). Besonders effektiv: rhythmisch-isometrische Übungen mit externem Fokus, zum Beispiel Wadenpressen mit Metronom.
Die Epidemiologie zeigt deutliche Unterschiede – abhängig vom Leistungsniveau:
Läuferkohorte | Verletzungen pro 1.000 h | Anteil Sehnenverletzungen | Quelle |
Laufanfänger | 17–18 | ≈ 10 % | (2) |
Freizeitläufer <40 km/Woche | 7–9 | ≈ 9 % | (2) |
Trail-Ultraläufer | ≈ 12 | ≈ 8 % | (3) |
Besonders kritisch: Wer dauerhaft mehr als 40 km pro Woche läuft, verdoppelt sein Risiko für Achillessehnenschmerzen (4).
Unsere Sehnen reagieren empfindlich auf ungewohnte oder übermäßige Belastungen – vor allem dann, wenn diese zu plötzlich kommen. Ein zentrales Maß dafür ist die sogenannte „Akut-zu-chronisch-Quote“, also das Verhältnis der aktuellen zur durchschnittlichen Trainingsbelastung. Liegt dieser Wert über 1,3, verdoppelt sich das Risiko für eine Sehnenverletzung deutlich (4). Besonders gefährlich sind abrupte Trainingssprünge oder einseitige Reize wie steile Anstiege, Sprints oder ein neues Trainingsformat ohne ausreichend Progression.
Auch biomechanische Faktoren spielen eine Rolle. Eine eingeschränkte Dorsalextension – also die Beweglichkeit des Sprunggelenks nach vorne – unter 10 cm (gemessen im Knee-to-Wall-Test) führt zu erhöhter Spannung auf die Achillessehne (6). Zusätzlich erhöht eine schwach ausgebildete Fußmuskulatur, insbesondere die kurzen Zehenbeuger, das Risiko für Überlastungsschäden (7). Und nicht zuletzt gilt: Wer bereits eine Sehnenverletzung hatte, trägt das größte Einzelrisiko für ein Rezidiv.
Mit zunehmendem Alter nimmt zudem die Anpassungsfähigkeit der Sehnen ab. Ein erhöhter Body-Mass-Index kann die Sehne zusätzlich belasten (8). Bei Frauen kann ein postmenopausaler Östrogenmangel ebenfalls die Sehnenstruktur schwächen (9), und auch genetische Faktoren wie das Vorhandensein des T-Allels des COL5A1-Gens werden mit einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit in Verbindung gebracht (9).
Zu guter Letzt spielen auch Umweltbedingungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kalte Temperaturen unter 5 °C, sehr harte Laufuntergründe oder ein plötzlicher Wechsel des Schuhwerks – insbesondere hin zu Modellen mit Null-Absatz (Zero Drop) – können die Sehne zusätzlich stressen und das Verletzungsrisiko erhöhen.
Mit vier einfachen Tests kannst du dein persönliches Sehnenrisiko prüfen:
Zwei oder mehr positive Marker? Dann ist ein präventives Programm dringend empfohlen.
Der Weg zurück ins schmerzfreie Laufen nach einer Tendinopathie erfordert mehr als nur Geduld. Er braucht ein strukturiertes Rehabilitationskonzept – und vor allem professionelle Begleitung. Genau hier kommt die Physiotherapie ins Spiel. Durch gezielte Maßnahmen, laufendes Belastungsmonitoring und individuelle Trainingsanpassung unterstützt die Physiotherapie alle vier Phasen der Regeneration – vom Schmerzmanagement bis zur Rückkehr in den Laufalltag.
Phase 0 – Schmerzkontrolle:
Zunächst steht die akute Schmerzreduktion im Fokus. Physiotherapeutische Maßnahmen setzen auf isometrische Übungen (z. B. 5×45 Sekunden Wadenheben bei 70 % der Maximalkraft), die nachweislich Schmerzen lindern, ohne die Sehne zusätzlich zu reizen. Entscheidendes Kriterium für den Fortschritt: Die Schmerzintensität sollte innerhalb von 24 Stunden nach der Belastung bei maximal 2 von 10 auf der NRS-Skala liegen – ein klares Zeichen für eine adäquate Reizdosierung.
Phase 1 – Strukturaufbau:
Sind die akuten Beschwerden unter Kontrolle, folgt die strukturelle Stärkung der Sehne. In der Physiotherapie kommen nun Heavy-Slow-Resistance-Übungen (HSR) zum Einsatz – kontrolliert, langsam und progressiv (z. B. 3×6 Wiederholungen im Tempo 3-0-3). Fortschritt wird hier mithilfe des VISA-A-Scores (Ziel: ≥ 70 Punkte) und funktioneller Tests wie der Calf-Raise (>20 schmerzfreie Wiederholungen) überprüft. Das begleitende Monitoring stellt sicher, dass der Trainingsreiz stark genug ist, um Anpassungen anzuregen, aber nicht zu Rückschlägen führt.
Phase 2 – Energie-Speicher trainieren:
Nun geht es darum, die elastische Speicherkapazität der Sehne wiederherzustellen – entscheidend für die Rückkehr in dynamische Laufbelastungen. Dafür werden plyometrische Übungen wie Pogo- oder Sidehops eingeführt – selbstverständlich erst, wenn die Belastbarkeit der Gewebe dieser Beanspruchung standhält. Die Kontrolle der Sprungtechnik und regelmäßige Re-Tests helfen, diese Belastbarkeit realistisch einzuschätzen.
Phase 3 – Return to Run:
Der finale Schritt: kontrollierte Rückkehr zum Laufen. Die „Walk-to-Run“-Progression (z. B. 1 Minute Laufen/1 Minute Gehen × 6) wird unter physiotherapeutischer Anleitung gestartet, um Lauftechnik, Belastungstoleranz und Schmerzreaktionen engmaschig zu beobachten. Auch hier gilt: Kein Schmerz über 2/10 nach 24 Stunden – ein klares Go für den nächsten Schritt.
Neuroplastisches Extra:
Ein wertvolles Zusatzmodul in der Reha ist das sogenannte neuroplastische Training. Zwei Mal pro Woche werden isometrische Wadenpressen im 100-BPM-Takt (z. B. mit Metronom) eingebaut. Ziel ist es, die gesteigerte kortikale Hemmung bei chronischer Tendinopathie zu reduzieren – Studien zeigen eine Verbesserung um bis zu 15 % (5). In der Praxis bedeutet das: bessere Koordination, mehr Kontrolle und ein sichereres Laufgefühl.
In jeder Phase steht die Physiotherapie nicht nur für Übungen, sondern für gezieltes Management: Belastung individuell dosieren, Reaktionen über 24 Stunden beobachten und den nächsten Schritt nur dann freigeben, wenn der Körper bereit ist. So wird die Rückkehr zum Laufen sicher, nachhaltig – und motivierend.
Bevor du wieder ins Lauftraining einsteigst, solltest du folgende Punkte abhaken können:
Ausblick
Nächstes Mal geht es weiter mit dem Thema Plantarfasziopathie – inklusive einer 5-Minuten-Routine gegen schmerzende Fußsohlen.
Was meinst du: Bist du sehnentechnisch auf der sicheren Seite oder überrascht dich dein Risiko?
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