Soft Season, Strong Base: Warum die Off-Season eine so wichtige Phase für Langstreckenläuferinnen und Läufer ist

Ressourcen statt Raubbau – erholen, Kapazität aufbauen, vorbereitet ins Rennen

Die Off-Season ist keine „Pause“, sondern eine Phase gezielter Regeneration und des Ressourcenaufbaus: Gewebe, Systeme und Skills werden belastbarer gemacht. Durch gezieltes Krafttraining und Kapazitätsaufbau in dieser Phase kann das Verletzungsrisiko gesenkt und die Running Economy verbessert werden.[1–3]
Kernbausteine sind dabei geszieltes Krafttraining, überwiegend lockere Läufe im Z1–Z2-Bereich plus kleine Qualitätsreize wie Strides und kurze Bergsprints.[1,2]
Ein einfaches Monitoring der Belastung (Session-RPE×Dauer) und des Schlafes – optional ergänzt um Herzratenvariabilität und Ruhepuls – hilft, die Off-Season trendbasiert zu steuern.[11,12]
Schlaf und Energieverfügbarkeit sind dabei wesentliche Themenbereiche, die jede Off-Season mitdenken sollte – hier spielt die Physiotherapie im interdisziplinären Team eine zentrale Rolle.[6–8,13]

Wer in der Off-Season Kapazität aufbaut, kann in der Pre-Season und In-Season gezielter spezifizieren – also schneller, länger und öfter laufen – ohne in der Verletzungsfalle zu landen.

Off-Season: mehr als „Pause nach der Saison“

Die Off-Season beginnt nach der Wettkampfsaison und dauert je nach Zielsetzung meist 4 bis 8, maximal etwa 10 Wochen. In dieser Zeit sinkt die äußere Laufbelastung (weniger Wettkämpfe, weniger harte Einheiten), während gezielt an der inneren Kapazität gearbeitet wird: Kraft, Gewebe-Toleranz, neuromuskuläre Stabilität, Technik und mentale Ressourcen stehen im Vordergrund.

Die Idee dahinter: Wer in der Off-Season Kapazität aufbaut, kann in der Pre-Season und In-Season gezielter spezifizieren – also schneller, länger und öfter laufen – ohne in der Verletzungsfalle zu landen.[4]

Load vs. Capacity – der Gabbett-Quadrant

Tim Gabbett und Kollegen beschreiben das Zusammenspiel von Belastung (Load) und Belastbarkeit (Capacity) als Quadrantenmodell: Viel Belastung bei niedriger Kapazität bedeutet hohes Verletzungsrisiko, während hohe Belastung bei hoher Kapazität deutlich besser toleriert wird.[4]

Physiotherapie unterstützt hier etwa durch Kraft- und Gewebetests, Funktionsanalysen und abgestufte Trainingspläne im Team mit Coach und Medizin.

Detraining – warum „gar nichts tun“ problematisch ist

Ohne jeglichen Trainingsreiz kommt es bereits nach wenigen Wochen zu messbaren Einbußen – insbesondere bei VO₂max und weiteren leistungsrelevanten Parametern wie Laktatschwelle und Ausdauerleistung.[10] In den Übersichtsarbeiten von Mujika und Padilla zeigt sich, dass ein kompletter Trainingsstopp („complete detraining“) deutlich ungünstiger ist als ein reduziertes, aber strukturiertes Erhaltungstraining.[10]

Detraining betrifft dabei nicht nur Herz-Kreislauf-Parameter: Mit der Zeit nehmen auch Kraft, neuromuskuläre Ansteuerung und Muskelmasse ab – genau jene Ressourcen, die für Stabilität, Kraftübertragung und Belastbarkeit in Hüfte, Knie, Unterschenkel und Fuß verantwortlich sind.[10] Die Folge: weniger Resilienz gegenüber Trainingssteigerungen und potenziell höheres Verletzungsrisiko, sobald wieder „richtig“ gelaufen wird.

In der Praxis kann das zum Beispiel bedeuten, ein moderates Laufvolumen mit überwiegend lockeren Einheiten in Z1–Z2 beizubehalten und dieses durch kurze, gezielte Reize (Strides, kurze Hills) zu ergänzen, um Laufspezifik und neuromuskuläre Kapazität zu erhalten. [10]

Ressourcenmodell: Kapazität in mehreren Dimensionen denken

Fünf Ressourcen-Domänen

Ein durchdachtes Off-Season-Konzept schaut nicht nur auf Kilometer und Pace, sondern auf verschiedene Ressourcenbereiche, die für den Langstreckenlauf entscheidend sind:

  1. Physiologie/Metabolik – alles, was Herz-Kreislauf, VO₂max und Energiesysteme leistungsfähig hält.
  2. Neuromuskulär – Kraft, Schnellkraft, Ansteuerung und Koordination der Muskulatur.
  3. Biomechanik / Foot-Core – Laufstil, Beinachse und die aktive Stabilität des Fußes.[5]
  4. Psychologie – Motivation, Umgang mit Stress, Erholungsfähigkeit und Selbstvertrauen.
  5. Soziales/Umfeld – Trainingsorganisation im Alltag, Unterstützung durch Familie, Job- und Lebenssituation, Community.
 

Physiotherapie bewegt sich dabei genau in der Mitte dieser Bereiche: Sie verbindet neuromuskuläre, biomechanische und gesundheitliche Aspekte und kann gemeinsam mit Coaching und Medizin dafür sorgen, dass das Gesamtbild stimmig bleibt.

SDT-Brücke: Autonomie, Kompetenz, Verbundenheit

Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, SDT) beschreibt drei psychologische Grundbedürfnisse, die auch in der Off-Season eine große Rolle spielen:

  • Autonomie: Das Gefühl, selbst mitentscheiden zu können – zum Beispiel, welche Themen in dieser Off-Season im Vordergrund stehen („Knie stabiler machen“, „mehr Kraft im Bergauf“ oder „Stress im Alltag besser abfangen“).
  • Kompetenz: Erleben, dass etwas weitergeht. Kleine Tests, Video-Feedback oder klar erkennbare Progressionen im Training zeigen, dass sich der Einsatz lohnt.
  • Verbundenheit: Das Gefühl, nicht allein unterwegs zu sein – etwa durch eine Laufgruppe, eine Online-Community oder gemeinsame Strength-Sessions.

 

Wenn diese drei Bereiche gut getroffen sind, fühlt sich die Off-Season weniger nach „Pflichtprogramm“ an und mehr wie eine Phase, in der bewusst an der eigenen Lauf- und Lebensbasis gearbeitet wird.

Foot-Core als unterschätzter Performance-Booster

Das Foot-Core-Konzept versteht den Fuß ähnlich wie den Rumpf: als aktives System aus Muskeln, Faszien und Gelenken, das Kräfte aufnimmt, kontrolliert und wieder abgibt.[5] Entscheidend ist weniger eine einzelne „Wunderübung“, sondern das Zusammenspiel aus Stabilität und Mobilität, damit Fuß und Unterschenkel die beim Laufen auftretenden Kräfte sicher steuern und der Belastung standhalten können.[5]

Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Wadenmuskulatur. Sie wirkt bei jedem Schritt als Mischung aus Stoßdämpfer und Antrieb: Sie hilft, die Landung zu kontrollieren, speichert über die Achillessehne elastische Energie und gibt sie in der Abdruckphase wieder frei. Gerade im Langstreckenlauf ist dieses System über tausende von Kontakten pro Einheit hohen Kräften ausgesetzt – fehlt hier Kapazität, steigen sowohl die lokale Ermüdung als auch das Risiko für Überlastungsbeschwerden im Bereich Achillessehne, Schienbein und Sprunggelenk.

Ein gut trainiertes Fußgewölbe in Kombination mit einer kräftigen, belastbaren Wadenmuskulatur unterstützt die Kraftübertragung, verbessert die Kontrolle in der Beinachse und kann Überlastungsbeschwerden im Bereich Sprunggelenk und Unterschenkel vorbeugen.[5] Die Off-Season eignet sich ideal, um gezielt an dieser Kombination aus aktiver Stabilität, Beweglichkeit und Kraft im Fuß-Unterschenkel-System zu arbeiten – abgestimmt auf individuelle Voraussetzungen und Laufziele.

Was gehört konkret in die Off-Season?

Laufen: Form halten statt „Laufentzug“

In der Off-Season geht es darum, die lauf­spezifische Form nicht einfach wegbröckeln zu lassen – aber auch nicht dauerhaft im „Vollgasmodus“ zu bleiben. Das Ziel: locker weiterlaufen, das System in Bewegung halten und dem Körper gleichzeitig Luft zum Regenerieren und Aufbauen geben.

Praktisch kann das so aussehen:

  • 80–90 % der Laufzeit in Z1–Z2 – also entspannte bis zügige Grundlagenausdauer, bei der noch gut gesprochen werden kann.
  • 1× pro Woche kurze, frische Reize: z.B. 4–6×20 Sekunden Strides auf flachem Untergrund oder 10-20 Sekunden kurze Berganläufe – immer mit voller Pause dazwischen.
  • Optional: ein kurzer „Tempo-Touch“ im Bereich knapp unter oder um Z3, wenn Erholung, Schlaf und Alltagsbelastung dafür sprechen.

 

Studien zur Trainingsintensitätsverteilung zeigen, dass im Ausdauersport unterschiedliche Modelle erfolgreich sein können – etwa stärker polarisierte gegenüber stärker schwellenbetonten Verteilungen. [9] Die Gemeinsamkeit liegt hier fast immer darin, dass ein großer Teil der Gesamtzeit locker gelaufen wird.

In der Off-Season stehen Schwellen- und VO₂max-Training nicht im Mittelpunkt. Wichtiger ist ein reduziertes, gut verträgliches Volumen mit kleinen Qualitätsreizen, das Raum lässt für Krafttraining, Foot-Core und Alltag.

Krafttraining: 2× pro Woche, ca. 45 Minuten

Krafttraining ist für Laufende kein „Nice-to-have“, sondern ein echter Performance- und Gesundheits-Booster: Es verbessert Running Economy und Wettkampfleistung, besonders wenn über mehrere Wochen mit relativ hohen Lasten gearbeitet wird.[1,2] Gleichzeitig sinkt das Risiko für Sport- und Überlastungsverletzungen, je konsequenter und sinnvoller dosiert trainiert wird.[3,13]

Eine mögliche Off-Season-Struktur über etwa acht Wochen:

Wochen 1–4: Aufbau / Hypertrophie

    • 3–4 Sätze à 8–12 Wiederholungen
    • Last so wählen, dass die letzten Wiederholungen deutlich anstrengend, aber noch technisch sauber sind (ca. 60–75 % 1RM).[1,2]

 

Wochen 5–8: Maxkraft

    • 3–5 Sätze à 4-6 Wiederholungen
    • höhere Lasten, dafür weniger Wiederholungen mit submaximaler Ausbelastung (ca. 80–90 % 1RM mit 1-2 Wiederholungen in Reserve).[1,2]

 

Im Verlauf oder im Anschluss können low-impact Plyometrics ergänzt werden – z.B. Skippings oder kleine Sprungvarianten – um die Laufökonomie weiter zu verbessern, ohne die Strukturen zu überfordern.[1,2]

Damit Krafttraining das hält, was die Evidenz verspricht, helfen drei einfache Leitplanken:

  • Technik zuerst – dann Last.
  • Sätze nicht bis völliges Versagen.
  • Zwischen zwei schweren Kraft-Einheiten mindestens 48 Stunden Abstand lassen.

 

Foot-Core & Waden: kleine Dosis, große Wirkung

Der Bereich Fuß–Unterschenkel arbeitet im Langstreckenlauf im Dauereinsatz: Bei jedem Schritt müssen Kräfte aufgenommen, kontrolliert und wieder abgegeben werden. Das betrifft nicht nur das Fußgewölbe, sondern besonders auch die Wadenmuskulatur (Triceps surae mit Gastrocnemius und Soleus).[5]

Dieses System wirkt wie eine Kombination aus Stoßdämpfer und Sprungfeder – es bremst den Aufprall leicht ab, speichert elastische Energie und hilft anschließend beim Abdruck. Fehlt es hier an Kapazität, steigt die lokale Ermüdung, und Überlastungsbeschwerden im Bereich Achillessehne, Schienbein oder Sprunggelenk werden wahrscheinlicher bzw. werden in der Literatur mit einer eingeschränkten Funktion dieses Systems in Verbindung gebracht.[5]

Darum lohnt sich in der Off-Season ein kleiner, aber konsequenter Block für Foot-Core und Waden, zum Beispiel 3–4-mal pro Woche für jeweils 8–12 Minuten mit Fokus auf:

  • kontrollierte Beweglichkeit im Fuß–Sprunggelenk-Bereich,
  • aktive Stabilität im Fußgewölbe,
  • langsam ausgeführte Wadenübungen und isometrische Haltepositionen.

 

Die Off-Season ist ideal, um diesen oft vernachlässigten Bereich systematisch aufzubauen. Ziel ist ein Fuß–Unterschenkel-System, das stabil, elastisch und belastbar ist – und damit die Kräfte im Laufalltag besser verarbeitet und weiterleitet.[5]

Monitoring „light“: Gadgets nutzen, ohne sich verrückt zu machen

Viele Läuferinnen un haben inzwischen Uhr, Ring oder App am Start, die Schlaf, Ruhepuls oder HRV messen. Statt sich in Zahlen zu verlieren, lässt sich daraus ein einfaches Off-Season-Monitoring bauen, das in 1–2 Minuten pro Tag erledigt ist.

Sinnvolle Marker können sein:

  1. Schlaf
    • z.B. App-/Uhr-Score oder eine einfache Einschätzung von 1 (sehr schlecht) bis 5 (sehr gut).
  2. Ruhepuls & HRV-Trend
    • morgens Ruhepuls und/oder HRV anschauen und Veränderungen über mehrere Tage beobachten, nicht jede Einzelmessung überbewerten.
    • Studien zeigen, dass HRV-basierte Anpassungen helfen können, Belastung sinnvoll zu verteilen – wichtig sind Trends, keine Tagespanik.[11,12]
  3. Energiegefühl / Stimmung
    • kurze Selbsteinschätzung: „Wie fühle ich mich heute?“ von 1 (völlig platt) bis 5 (fit und wach).
  4. Beschwerden / Schmerz
    • z.B. VAS 0–10: 0 = kein Schmerz, 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz.

 

Aus diesen Infos lässt sich eine einfache Logik ableiten:

Solange die Werte stabil sind, bleibt der Plan wie vorgesehen. Kippen Schlaf, Energiegefühl oder HRV über mehrere Tage oder nehmen die Schmerzen zu, werden die Läufe eher kürzer und lockerer und das Krafttraining etwas zurückgefahren. Wenn gleich mehrere Marker in die falsche Richtung laufen, sind ein bis zwei sehr ruhige Tage angesagt – und die Gesamtbelastung gehört kritisch überprüft.

Buchheit[11] und Vesterinen et al.[12] betonen, dass gerade Trends in HRV und Belastungsgefühl helfen können, Training individuell zu steuern und Überlast zu vermeiden – ohne dass jede einzelne Kennzahl perfekt sein muss.

Daily Check-in (1–2 Minuten)

Jeden Morgen oder Abend kurz ausfüllen:

Marker

Skala / Orientierung

Heute

Schlaf

1–5 → 1 = sehr schlecht, 3 = ok, 5 = sehr gut

⬜⬜⬜

Energiegefühl

1–5 → 1 = völlig platt, 3 = normal, 5 = wach & motiviert

⬜⬜⬜

Ruhepuls

in bpm, am besten im Liegen direkt nach dem Aufwachen

HRV (falls vorhanden)

z.B. LnRMSSD oder App-Score – nur Trend beachten, keine Panik bei einem Ausreißer

Schmerz (VAS)

0–10 → 0 = kein Schmerz, 2–3 = leicht, ≥5 = deutlich, ggf. abklären

So wird Monitoring zu einem praktischen Feedback-Tool, statt zu einer weiteren Stressquelle im Trainingsalltag.

Physiotherapie kann diese Marker in die Anamnese integrieren und Veränderungen (z.B. ansteigende Schmerzen, sinkende Schlafqualität) frühzeitig in Rücksprache mit Laufcoach und ggf. medizinisch adressieren.

Welche Effekte sind realistisch zu erwarten?

Running Economy und Performance

Systematische Reviews zeigen ziemlich klar: Krafttraining – vor allem mit eher hohen Lasten – kann die Running Economy verbessern und Wettkampfleistungen nach vorne schieben.[1,2 Die wesentlichen Effekte tauchen aber meist nicht nach zwei, drei Wochen auf, sondern eher ab Programmlängen von rund zehn Wochen und mehr.[1,2] In einigen Analysen schneiden Kraftprogramme mit hohen Lasten (ca. 80–90 % des 1RM) sogar besser ab als rein plyometrische Ansätze – am stärksten wirkt häufig eine Kombi aus schweren Lifts und clever dosierten Sprungformen.[1,2]

Die Off-Season ist dafür die perfekte Spielwiese: Hier wird der Grundstein gelegt, während sich die volle Wirkung dann in der Pre-Season und in den Wettkamphasen so richtig zeigt.

Detraining kontrollieren

Mujika und Padilla zeigen, dass reduziertes, aber kontinuierliches Training den Verlust von VO₂max und anderen Leistungsparametern deutlich besser abpuffert als vollständige Trainingspausen.[10] Für Läuferinnen und Läufer kann das in der Off-Season z.B. bedeuten, ein moderates easy-Volumen beizubehalten und kurze Strides zu nutzen, statt vollständig zu pausieren. Off-Season heißt daher: „soft“ statt „off“ – weicher Einstieg, aber kein völliger Stillstand.

Verletzungsrisiko senken

Lauersen et al. zeigen in einer großen Meta-Analyse, dass regelmäßiges Krafttraining das Risiko für akute Sportverletzungen und Überlastprobleme deutlich senken kann – und zwar umso mehr, je konsequenter und sinnvoll dosiert trainiert wird.[3] Der IOC-Konsensus zu Belastung und Verletzung/Erkrankung unterstreicht zusätzlich, wie wichtig ein cleveres Load-Management ist: nicht zu schnell steigern, Lastspitzen vermeiden, Erholung ernst nehmen.[13]

In der Praxis heißt das – Belastung Schritt für Schritt aufbauen, Technik immer wieder anschauen und die Gewebe rund um „Problemzonen“ gezielt stärken – genau hier kann Physiotherapie ansetzen und Training so begleiten, dass es nicht nur schneller, sondern vor allem auch langlebiger macht.

Health-Basics in der Off-Season: Schlaf & RED-S

Schlaf als Performance-Tool

Der IOC-Konsensus von Walsh und Kolleg:innen macht ziemlich deutlich: Schlaf ist so etwas wie das zentrale Recovery-Tool – wichtig für Regeneration, Immunsystem und Leistungsfähigkeit.[6]

Die Off-Season ist daher ein guter Moment, um die eigenen Schlafgewohnheiten einmal bewusst „aufzuräumen“ und sich eine kleine, alltagstaugliche Schlaf-Toolbox zusammenzustellen, zum Beispiel mit:

  • einem möglichstkonstanten Schlaf-Wach-Rhythmus
  • einfachenAbendroutinen (Licht dimmen, Screentime runter, etwas Entspannung)
  • einerruhigen, dunklen und eher kühlen Schlafumgebung
  • und einembewussten Umgang mit Koffein, Alkohol sowie sehr späten, schweren Mahlzeiten

Gerade wenn Beschwerden immer wieder auftauchen oder die Erholung „hinterherhinkt“, lohnt sich ein ehrlicher Blick auf den Schlaf – im Austausch mit Physiotherapie, Sportmedizin oder Coaching sollte das genauso selbstverständlich sein wie Fragen nach Umfang, Intensität oder Schuhwahl.

RED-S Awareness & Screening

RED-S (Relative Energy Deficiency in Sport) beschreibt die Folgen einer chronischen Unterversorgung mit Energie – etwa Zyklusstörungen, reduzierte Knochengesundheit, Leistungseinbrüche oder wiederkehrende Verletzungen.[7]

Der IOC-Update-Artikel von Mountjoy et al. (2018)[7] und das IOC REDs CAT2 (2023)[8] bieten Rahmen und Werkzeuge für das Screening – insbesondere für medizinische Fachpersonen.

Gerade in der Off-Season sollte überprüft werden:

  • passen Trainingslast, Energieszufuhr und Erholung zusammen?
  • gibt es Warnzeichen (häufige Infekte, Amenorrhoe/Oligomenorrhoe, auffälliges Essverhalten, Leistungseinbruch)?

 

Physiotherapie kann hier eine sehr wichtige Rolle spielen, um RED-S-Risiken zu erkennen (z.B. durch typische Verletzungsmuster oder anamnestische Hinweise) und frühzeitig an sportmedizinische Fachstellen zu verweisen.

Praxis: Beispiel-Mikrozyklus für intermediates (skalierbar)

Die Kombination aus Kraft, lockeren Läufen und wenigen, gezielt gesetzten Qualitätsreizen spiegelt die Evidenz zu besserer Running Economy, Verletzungsprävention und sinnvollem Load-Management wieder.[1–3,10,13]

Strength-Templates (ca. 45 Minuten, flexibel verschiebbar)

Die Grundidee sind zwei Kraft-Einheiten pro Woche, die sich wie Bausteine in jede Off-Season-Woche einfügen lassen – je nachdem, ob das Training im Gym oder zuhause stattfindet. Jede Session dauert ungefähr 45-60 Minuten und basiert auf fünf klaren Grundübungen. Für alle, die kein Studio-Abo haben oder viel unterwegs sind, gibt es passende Home-Varianten mit wenig Equipment. Die Gym-Templates A und B können im Wochenrhythmus einfach abgewechselt werden, zum Beispiel Dienstag: Gym A, Freitag: Gym B. Gleiches Prinzip für die Home-Varianten – A und B im Wechsel, angepasst an Wochenplan und Alltagsstress.

Damit diese Einheiten wirklich Wirkung zeigen – und nicht nur „gutes Gewissen“ erzeugen -hilft ein simples Last- und Progressionsprinzip: Zu Beginn steht eine Hypertrophie-Phase in der mit einer Belastung gearbeitet wird, die sich deutlich anstrengend anfühlt (RPE etwa 6–7), aber noch 1–2 Wiederholungen in Reserve lässt. Später kann schrittweise zu höheren Lasten und weniger Wiederholungen übergegangen werden, um mehr in Richtung Maximalkraft zu arbeiten. Zwischen zwei schweren Kraft-Sessions sollten mindestens 48 Stunden Pause liegen, damit Muskulatur und Gewebe ausreichend Zeit zur Anpassung haben. Und ganz wichtig, keine Sätze bis zum kompletten Versagen- saubere Technik ist hier der Schlüssel.

 

Fazit: Warum die Off-Season ohne Physiotherapie eine verpasste Chance ist

Die Off-Season ist eine strategisch wichtige Phase im Jahr von Langstreckenläuferinnen und Läufern. Statt unstrukturierter Pause oder „Weiterballern mit weniger Wettkämpfen“ bietet sie die Chance, systematisch Ressourcen aufzubauen für Muskulatur, Gewebe, Technik, Psyche und im Umfeld.[1–5,10]

Physiotherapie kann in diesem Setting eine echte Schaltstelle sein: Sie reicht von Screening und Diagnostik (etwa Laufanalyse, Kraft- und Beweglichkeitstests, Einschätzung des RED-S-Risikos sowie Schlaf- und Belastungsanamnese[5–8] ) – über die Programmgestaltung (mit evidenzbasierten Kraftplänen, Foot-Core-Schwerpunkten und einer individuell passenden Lauf-Progression) bis hin zum Load-Management, bei dem Monitoring-Daten (wie Belastungsempfinden, Schmerzskalen, Schlaf und gegebenenfalls HRV) in eine einfache Ampel-Logik übersetzt und mit Coaches oder Medizin abgestimmt werden.[11–13] Auf dieser Basis lassen sich Erkenntnisse aus Verletzungs- und Performanceforschung direkt in alltagstaugliche Routinen überführen – mit dem Ziel, sowohl Prävention als auch Leistung im Blick zu behalten.[1–3,6,13]

Kurz zusammengefasst bedeutet das: Die Off-Season ist in erster Linie eine Kapazitätsphase und nicht einfach „nur Pause“. Kleine, clevere Reize wie lockere Läufe und kurze Strides helfen, unnötiges Detraining zu vermeiden.[10] Zwei gut strukturierte Krafteinheiten pro Woche, die von Hypertrophie in Richtung Maxkraft entwickelt werden, liegen im Bereich der in den Studien eingesetzten Programme und können die Running Economy verbessern und das Verletzungsrisiko senken.[1–3] Ergänzend sind Foot-Core-Training, gezielte Wadenarbeit und ein Monitoring „light“ einfache, aber wirksame Stellschrauben.[3,5,11,12] Und nicht zuletzt gehören Schlaf und ein wacher Blick auf RED-S zu den zentralen Gesundheits-Basics, bei denen Physiotherapie im interdisziplinären Team eine wichtige Schnittstellenfunktion einnimmt.[6–8,13]

Was meinst du zur Off-Season – eher „Soft Season“ oder bisher doch noch „Off“? Teile diesen Artikel gerne via Social Media und lass uns deine Meinung dazu wissen. Wir freuen uns auf dein Feedback.

Quellen
  1. Blagrove RC, Howatson G, Hayes PR. Effects of strength training on the physiological determinants of middle- and long-distance running performance: A systematic review. Sports Medicine. 2018;48(5):1117–1149. https://doi.org/10.1007/s40279-017-0835-7
  1. Eihara Y, Takao K, Sugiyama T, Maeo S, Terada M, Kanehisa H, et al. Heavy resistance training versus plyometric training for improving running economy and running time trial performance: a systematic review and meta-analysis. Sports Med Open. 2022;8(1):138.https://doi.org/10.1186/s40798-022-00511-1
  1. Lauersen JB, Andersen TE, Andersen LB. Strength training as superior, dose-dependent and safe prevention of acute and overuse sports injuries: A systematic review, qualitative analysis and meta-analysis. British Journal of Sports Medicine. 2018;52(24):1557–1563. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099078
  2. Gabbett T, Sancho I, Dingenen B, Willy RW. A new framework for managing load in sport: Balancing performance and injury risk. British Journal of Sports Medicine. 2021;55(17):947–948. https://doi.org/10.1136/bjsports-2020-103769
  3. McKeon PO, Hertel J, Bramble D, Davis I. The foot core system: a new paradigm for understanding intrinsic foot muscle function. British Journal of Sports Medicine. 2015;49(5):290. https://doi.org/10.1136/bjsports-2013-092690
  4. Walsh NP, et al. Sleep and the athlete: Narrative review and 2021 IOC consensus statement. British Journal of Sports Medicine. 2021;55(7):356–368. https://doi.org/10.1136/bjsports-2020-102025
  5. Mountjoy M, et al. IOC consensus statement on relative energy deficiency in sport (RED-S): 2018 update. British Journal of Sports Medicine. 2018;52(11):687–697. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099193
  6. International Olympic Committee. IOC REDs CAT2 (2023). Clinical Assessment Tool V2. International Olympic Committee.
  7. Rosenblat MA, Perrotta AS, Vicenzino B. Polarized vs. threshold training intensity distribution on endurance sport performance: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Strength Cond Res. 2019;33(12):3491–3500. https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000002618
  8. Mujika I, Padilla S. Detraining: Loss of training-induced physiological and performance adaptations. Sports Medicine. 2000;30(2/3):79–87 & 145–154. https://doi.org/10.2165/00007256-200030020-00002https://doi.org/10.2165/00007256-200030030-00001
  9. Buchheit M. Monitoring training status with HR measures: Do all roads lead to Rome? Frontiers in Physiology.2014;5:73. https://doi.org/10.3389/fphys.2014.00073
  10. Vesterinen V, Nummela A, Heikura I, Laine T, Hynynen E, Botella J, et al. Individual endurance training prescription with heart rate variability. Med Sci Sports Exerc. 2016;48(7):1347–1354. 
  11. Soligard T, et al. How much is too much? (Part 1) International Olympic Committee consensus statement on load in sport and risk of injury. British Journal of Sports Medicine. 2016;50(17):1030–1041. https://doi.org/10.1136/bjsports-2016-096581
  12. Pürzel A. Ressourcen-Kurven „optimal/suboptimal/mehrere Zyklen“. 2021–2024. Intelligent Strength, Wien. (Grafikmaterial, mit Genehmigung verwendet.)

 

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